Partner in der Corona-Krise

Imago steht für verständnisvolle Beziehung und öffnet den Weg in die Erlebniswelt des Anderen. Zuhören – Spiegeln – Einfühlen und Verstehen führen zu einer tiefen Verbindung und schenken uns Nähe. Im Dialog sitzen die Gesprächspartner gegenüber und erleben die Nähe durch Augenkontakt und gerne auch durch die Verbindung der Hände.

Paare oder Familienangehörige, die mit Imago geübt sind, haben in diesem Krisenszenario einen wertvollen Vorsprung. Die Akzeptanz, dass der Andre gerade so anders denkt, fühlt und handelt als   ich ist größer. Die Bereitschaft, ihn in seinen Bedürfnissen und Ängsten zu verstehen, ist stärker. Selbst wenn ich nur noch im Schutzanzug meinem Partner begegnen dürfte, lebt unsere Beziehung von der Nähe, die wir durch Imago erlebt haben.

Wie kann Imago in der Krise helfen?

Familien und Einzelne sind isoliert und auf sich selbst zurückgeworfen. Unsere „Schmerzpunkte“ des Lebens werden offenbarer, je weniger wir uns ablenken können. Wir nerven uns gegenseitig immer mehr und verlieren dabei Energie. Gleichzeitig müssen wir schnelle Entscheidungen treffen, die unseren Tagesablauf bestimmen. Wieviel sozialen Kontakt lassen wir zu? Wie gestalten wir die Wege zur Arbeit und zum Einkaufen? Wie kann ich meinen Partner unterstützen, der in sensiblen Berufen arbeitet? Wie gehen wir als Familie jetzt miteinander um, und wie können wir für alte Eltern sorgen?

Die Grundgedanken von Imago bieten uns gerade jetzt wertvolles Handwerkzeug, um in der Krise zu wachsen.

  1. Ich bin Ich und Du bist Du, Ich bin nicht wie Du und du bist nicht wie Ich.

Das „Fremde“ an dir bleibt mir oft unverständlich und macht Druck. In Krisensituationen verstärkt sich die Unsicherheit und das Angstgefühl. Ich habe in dieser Situation vielleicht größere Bedenken als mein Partner und rege mich darüber auf, dass er die Entwicklung offensichtlich nicht so ernst nimmt. Je mehr ich die Bedenken äußere, umso stärker betont mein Gegenüber, dass es nicht so schlimm ist. In der Krise verdichten sich die Spannungen in den Beziehungen und speziell auch in der Partnerschaft. Was wir jetzt brauchen ist ein vertrauensvoller Dialog, in dem wir einander zuhören, uns verstehen lernen und uns annehmen in der unterschiedlichen Befindlichkeit. Das gelingt nur, wenn sich jeder auch seinen eigenen Ängsten stellt und in der Selbstreflexion erkennt, warum er die Haltung des Partners ablehnt. Wenn einer eher der ängstlichere Typ ist, ist das seine Überlebensstrategie, mit der er auf die Bedrohungen in seiner Kindheit reagiert hat. In derselben Situation könnte der Partner auch entscheiden, dass die Bedrohung, die er fühlt, nicht so schlimm sein darf, und bekämpft mit dieser Strategie seine Angst. Zwei unterschiedliche Wege, mit Bedrohung umzugehen. Der Imago Dialog gibt uns die Struktur für ein verständnisvolles Gespräch. Verständnisvoller Dialog statt reaktiver Monolog. Dafür brauchen wir im Krisenmodus nochmal mehr Mut und Kraft. Der Lohn für diese Mühe ist die Erfahrung, eine Krise miteinander bewältigen zu können. Die Krise treibt uns nicht in die Isolation, sondern stärkt unser „Wir-Gefühl“.  Der Imago-Dialog ist das geeignete Werkzeug gegen Isolation.

  1. Wertschätzung ist der Anfang jedes Dialoges. In der Krisenerfahrung gehört diese Übung zu den größten Ressourcen. Bei allen Einschränkungen darf ich immer dankbarer werden für das, was ich noch habe und was wir füreinander tun können.  Ich schätze an dir…“ hilft mir wahrzunehmen, wo und wie sich mein Gegenüber einsetzt. Meine Wahrnehmung richtet sich auf das Positive und das hat wiederum positive Wirkung auf meine gesamte Bio-psychosoziale Gesundheit. In der Wertschätzungsübung drücken wir unsere Dankbarkeit aus für das, was wir uns gegenseitig schenken, und stärken damit unsere Verbundenheit.
  2. In der Coronakrise treten andere Krisenerfahrungen in den Hintergrund.  So liegt in dieser Krise die große Chance, dass wir uns auf das wirklich Wichtige konzentrieren – den Menschen, dem ich gerade begegne!
  3. Der Religionsphilosoph Martin Buber schreibt: Das „Ich“ kommt aus dem „Du“, und klärt sich am „ewigen Du“ Gottes. Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im „ewigen Du“. Imago beschreibt, wie die Partner mit ihrer Haltung und Stimmung den Zwischenraum gestalten und dieser Zwischenraum Wirkung auf sie hat.  Dieser Zwischenraum wird genährt vom „Ewigen DU“ Gottes. Wir erleben eine Annahme und Wertschätzung, die außerhalb unsrer Möglichkeiten liegt. Wir sind unseren eigenen Begrenzungen nicht ausgeliefert, sondern haben Zugang zu dieser göttlichen Liebe, die uns erfüllt. In diesem Sinne wird der Paarzwischenraum für mich ein heiliger und gleichzeitig heilsamer Raum. Diese tröstliche Hoffnung stärkt mitten in der Krise. Wo es gelingt, wird es zu einer spirituellen Erfahrung, in der ich lerne, meinen Schöpfer, mich selbst und mein Gegenüber lieben zu lieben.
  4. Alles Leben ist Entwicklung; dies sind die ersten Impulse bezüglich Imago in der Krise und laden ein, weiter zu denken und zu entwickeln. Diese Krise kann uns helfen die Partnerschaft bewusst zu gestalten und Liebe neu zu entfachen. 

Ulrike Wiegner

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